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Alkoholfreies Abendmahl

Das Gebot der Liebe

Die Liebe Gottes, die in Jesus von Nazareth menschliche Gestalt angenommen hat, öffnet dem, der an ihn glaubt, die Augen für die Not der Brüder. Er sieht den Menschen in seinem Elend, in seiner Verstrickung und Versklavung, unter dem Zwang fremder Mächte und Gewalten, unter der Last der Schuld und des Leides. Und er leidet mit. »Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit« (l. Kor. 12, 26). Der vom Leid Ergriffene bleibt nicht mitleidiger Zuschauer. Die Liebe treibt ihn zum Handeln, zum Helfen. Sie drängt ihn, den Schwachen, den Kranken beizustehen. »Die Gesunden brauchen keinen Arzt, sondern die Kranken« (Matth. 9, 12). Ihnen wenden wir uns im zweiten Teil zu.

Als Glieder der Gemeinde Jesu Christi tragen wir eine große Verantwortung für die Gefährdeten. Das Angebot der Liebe, das im Abendmahl jedem, der daran teilnimmt, sichtbar und greifbar vor Augen steht, wird uns zum verpflichtenden Gebot der Liebe, besonders dem gefährdeten Bruder, der gefährdeten Schwester gegenüber.

Die gefährdeten Brüder

Ich denke zuerst an die Alkoholgefährdeten. Ihre Zahl ist groß. Sie geht in Deutschland, Österreich und in der Schweiz in die Hunderttausende. Diesem großen Heer von Suchtkranken dürfen wir nicht ausweichen. Mancher von ihnen ist ein Bruder oder Schwester, »für den doch Christus gestorben ist. Wenn ihr euch ... an den Brüdern versündigt und ihr schwaches Gewissen verletzt, so versündigt ihr euch an Christus« (l. Kor. 8, 11. 12).

Die Gesellschaft distanziert sich in den meisten Fällen von den Alkoholkranken und andern Süchtigen, die für sie sozial und wirtschaftlich eine schwere Belastung sind. Viele von ihnen läßt sie hinter den Mauern der psychiatrischen Kliniken oder der Strafanstalten verschwinden. Dabei übersehen die dafür Verantwortlichen meistens, daß der Alkoholismus eine Krankheit mit Vergiftungsschäden an der Leber, am Magen und am Nervensystem ist. Mehr noch als daran leidet der Alkoholkranke an sich selbst. Er merkt, daß er in Beruf und Familie die an ihn gestellten Erwartungen nicht zu erfüllen vermag. Dabei kommt es ständig zu Konflikten, bei denen aus der Sicht des Alkoholikers immer die andern an allem schuld sind. Er sieht nicht ein, daß er dieses Fehlverhalten selbst verursacht hat. Er zieht sich als der Unverstandene, Gemiedene, Ausgestoßene, den Belastungen des Lebens Nicht-Gewachsene in sich selbst zurück, sondert sich von den andern ab und vereinsamt. Nicht selten zerbricht er am Leben und steht in höchster Gefahr, in seinem Zustand der Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit sein Leben wegzuwerfen. In dieser Gefahrenzone ist es außerordentlich wichtig, daß der Alkoholgefährdete mit Menschen zusammenkommt, die sich seiner liebevoll annehmen, ihn nicht aufgeben und ihn in eine hilfsbereite Lebensgemeinschaft hineinziehen, in der er sich geborgen fühlt. Diesen Dienst müßten ihm die Kirche, das Blaue Kreuz oder andere Abstinentenvereinigungen erweisen, wenn das Gebot der Liebe ihr Handeln bestimmt.

Findet der Alkoholkranke einen solchen Ort, an dem er sich verstanden und voll angenommen weiß? Kann er in der Kirche am Gemeindeleben teilnehmen, ohne daß man es ihm zu merken gibt, daß er »ein Mensch zweiter Klasse« ist? Friedrich von Bodelschwingh, dem als Vater vieler Hunderter von epileptisch Kranken vor den Toren Bielefelds auch die Not der Alkoholkranken entgegentrat, schrieb: »Wenn du einem geretteten Trinker begegnest, dann begegnest du einem Helden! Es lauert in ihm schlafend sein Todfeind; er bleibt behaftet mit seiner Schwäche und setzt nun seinen Weg fort durch eine Welt der Trinksitte, in einer Umgebung, die ihn nicht versteht, in einer Gesellschaft, die sich berechtigt hält, in jämmerlicher Unwissenheit auf ihn herabzuschauen als auf einen Menschen zweiter Klasse, weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen. Du solltest wissen, er ist ein Mensch erster Klasse.«

Wissentlich deklassiert man heute noch in vielen Kirchgemeinden und Freikirchen befreite Alkoholiker, indem man sie beim Mahl der Liebe lieblos aus der Abendmahlsgemeinschaft ausschließt, solange am Genuß des vergorenen Weins festgehalten wird. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen worden, daß der Alkoholiker, auch wenn er monate­- und jahrelang abstinent gelebt hat, keinen einzigen Schluck Alkohol trinken darf, weil er für sein ganzes Leben die Selbstkontrolle verloren hat. Ein anerkannter Fachmann auf diesem Gebiet, Dr. E. Rieth (in »alkoholkrank?«, Blaukreuz-Verlag Bern und Wuppertal), schreibt dazu: »Verlust der Selbstkontrolle« bedeutet den Ausfall einer Fähigkeit, über die normalerweise jeder Mensch verfügt, nämlich seine Getränke‑- und Nahrungsmittelaufnahme mit Hilfe seines Willens zu steuern. Mit anderen Worten: Er kann mit Essen und Trinken aufhören, wenn ihm das notwendig zu sein scheint ... Und genau dieses „Bremsvermögen“ geht dem Alkoholiker in bezug auf die Aufnahme seines Suchtmittels zu Beginn der kritischen Phase verloren. Verlust der Kontrolle bedeutet für ihn jetzt die Unfähigkeit, seine Alkoholaufnahme mit Hilfe seines Willens und Verstandes zu steuern. Sobald eine kleine Alkoholmenge, die sogenannte Minimaldosis, in seinen Körper gelangt ist, entsteht bei ihm ein unwiderstehliches Verlangen nach mehr Alkohol ... Da der Vorgang, der zum Selbstkontrollverlust geführt hat, nicht mehr rückgängig zu machen (irreversibel) ist, gibt es für den Alkoholiker, der gesund werden will, nur eine Möglichkeit: auf Alkohol in jeder Form und für alle Zeiten zu verzichten.«

Es könnten eine ganze Menge Beispiele dafür angeführt werden, wie der Gang zum Abendmahl mit vergorenem Wein befreiten Alkoholikern zum Verhängnis geworden ist und neues Unglück über sie und ihre Familien gebracht hat. (Einige davon sind gesammelt in »Angst vor dem Abendmahl?«, Blaukreuz-Verlag Bern.) Es ist nicht so, wie gelegentlich behauptet wird, bei »bekehrten« Alkoholikern bestehe keine Rückfallgefahr mehr. Auch beim »Bekehrten«, der als Alkoholkranker eingestuft werden muß, löst schon der Geruch, zumindest aber ein Schluck Alkohol ein unwiderstehliches Verlangen nach mehr aus, und es ist fraglich, ob er den Willen und die Kraft hat, festzubleiben. Es ist ratsam, ihn beim Abendmahl nicht in Versuchung zu führen.

Müssen ausgerechnet unsere gefährdeten Brüder auf die volle Gemeinschaft der Gemeinde beim Abendmahl, auf die handgreiflichen Zeichen der Vergebung, der Freude und der Hoffnung, die gerade sie so nötig haben, verzichten? Schließen wir sie aus der Bruderschaft, die nirgends offenkundiger als beim Abendmahl zum Ausdruck kommt, aus? Versperren wir ihnen den Zugang zum »sichtbaren Wort«? Machen wir ihnen das Mahl der Liebe zum Mahl der Lieblosigkeit, der Rücksichtslosigkeit und Verständnislosigkeit? Das darf nicht sein! Das Gebot der Liebe bahnt den Alkoholgefährdeten den Weg zum Tisch des Herrn, wenn wir bereit sind, mit Rücksicht auf sie die Weisung des Apostels Paulus zu befolgen: »Wenn ihr durch euer Verhalten einen Bruder dazu bringt, etwas zu essen, was seine Überzeugung ihm verbietet, dann lebt ihr nicht mehr in der Liebe. Christus ist auch für diesen Bruder gestorben. Bringt ihn nicht durch euer Essen ins Verderben! Deshalb ist es besser, kein Fleisch (gemeint ist Götzenopferfleisch, der Verf.) zu essen und keinen Wein zu trinken und auch sonst alles zu unterlassen, was einen Bruder zur Sünde verleiten könnte« (Röm. 14, 15. 21). Es ist besser! Das ist keine gesetzliche Regelung. Es ist das »Gesetz«, das Christus gegeben hat, nämlich das Gebot der Liebe: »Einer trage des andern Last« (Gal. 6, 2).

Halbe Lösungen

Zahlreiche Gemeinden, in der Schweiz rund 60 Prozent aller Kirchgemeinden, da und dort auch Gemeinden in Deutschland und Österreich, die Evangelisch-methodistische Kirche in Europa und Amerika und andere amerikanische evangelische Kirchen, junge Kirchen in Afrika und Asien, um nur diese zu nennen, halten das Abendmahl mit Rücksicht auf Alkoholkranke zum Teil schon seit Jahrzehnten alkoholfrei. Für sie ist die Befolgung des Liebesgebotes beim Mahl des Herrn eine Selbstverständlichkeit. Andere Gemeinden, insbesondere deren Pfarrer und Kirchenleitungen, meinen, aus biblischen Gründen, auf die wir im nächsten Abschnitt zu sprechen kommen, es nicht verantworten zu können, beim Abendmahl unvergorenen Wein zu verwenden. Sie schlagen folgende Lösungen vor, um den Alkoholgefährdeten die Teilnahme am Abendmahl zu ermöglichen.

1. Neben dem Kelch mit vergorenem Wein wird ein Kelch mit unvergorenem Wein, um Verwechslungen auszuschließen auch Traubensaft genannt, bereitgehalten. Wer aus diesem Kelch trinken will, muß sich vorher anmelden oder mit einem Erkennungszeichen versehen.

2. Alkoholgefährdete essen nur das Brot und verzichten auf das Trinken aus dem Kelch.

3. Alkoholgefährdete sitzen mit ihren Angehörigen gesondert, um als Gruppe geschlossen aus dem eigens für sie bereitgestellten Kelch zu trinken.

4. Alkoholgefährdete und ihre Angehörigen werden zu Sonderabendmahlsfeiern unter Hinweis auf die alkoholfreie Form eingeladen.

5. Das Abendmahl wird im Wechsel mit vergorenem und unvergorenem Wein gehalten, besonders in den Festzeiten des Kirchenjahres.

Es scheint mir, daß solche Praktiken nur halbe oder gar keine Lösungen sind. Sie diskriminieren die Alkoholkranken, stellen sie als »Schwächlinge« hin und wecken in ihnen das Empfinden, doch nicht voll angenommen und in die Gemeinde integriert zu sein. Aber gerade sie sind es, die Gemeinschaft dringend nötig haben. Deshalb sollte jede Sonderbehandlung vermieden werden. Das würde aber nur gehen auf Kosten des alkoholhaltigen Abendmahlsweins. Helmut Thielicke weist in einem Artikel, betitelt »Warum ich Ärgernis empfinde«, darauf hin, daß Jesus den Dienst am Menschen über die rituelle Sabbatheiligung stellt. »Er schenkt uns die Freiheit, seine Gaben für den Menschen zu verwenden, dem sie als Gnadengeschenk zugedacht sind und dem sie nicht durch unsere Buchstabenknechtschaft zum Fluch werden sollen. Soll wiederum erst das Endgericht die Peinlichkeit enthüllen, daß wir in einem Alkoholkranken den Herrn selbst, den Gastgeber also, ausgeschlossen haben? «

Brüderliche Liebe und Rücksicht auf die Suchtkranken, auch auf die, die sich freiwillig oder gezwungen einer Antabuskur unterzogen haben, bleibt oberstes Gebot beim Abendmahl. Die Kirche darf sich nicht über die zunehmende Not des Alkoholismus, der das größte sozial-medizinische Problem der Schweiz und anderer Länder ist, hinwegsetzen. Sie ist um Christi willen zur Solidarität mit den Alkoholgefährdeten verpflichtet. Diese dürfen bei der Abendmahlsfeier nicht beschämt, zurückgesetzt oder in ihrem Gewissen verletzt werden. Sie sind als Gleichberechtigte zu behandeln. »Die Menschen sind ja nicht für das Abendmahl da, sondern das Abendmahl ist für die Menschen da« - für alle Menschen. Denn das Angebot der Liebe gilt allen.

Vergorener oder unvergorener Abendmahlswein (Traubensaft)?

Diese Frage hat in den letzten Jahren vor allem in der Evangelisch‑-lutherischen Kirche eine recht heftige Kontroverse ausgelöst. In fester Überzeugung wird da und dort die Meinung vertreten, das Abendmahl könne »stiftungsgemäß« nur mit vergorenem Wein gefeiert werden. Diesen und keinen andern habe Jesus verwendet, als er das Mahl zu seinem Gedächtnis einsetzte. Ein Vertreter dieser Auffassung, Dr. Ulbrich, argumentiert wie folgt: »Die tröstliche Gewißheit der Gegenwart des Herrn im Hl. Abendmahl hängt daran, daß es gemäß der Einsetzung Jesu Christi verwaltet wird. Es ist eingesetzt worden mit den „Elementen“ Brot und Wein ... Was in Übung ist, soll bleiben, soweit es nicht klaren Aussagen der Hl. Schrift widerspricht. Neues hingegen kann nur eingeführt werden, wenn es durch klare Aussagen der Hl. Schrift gefordert wird. So haben es die reformatorischen Kirchenordnungen gehalten. . . . Der Pfarrer, der bei seiner Ordination gelobt hat, die Sakramente einsetzungsgemäß zu halten, kann einem vom Alkohol gefährdeten Gemeindeglied, das am Hl. Abendmahl teilnehmen möchte, nur im persönlichen, offenen Miteinander helfen.« Die »Bedingungen des Notfalls« dürfen nach Ulbrich nicht zum »Maßstab für den Regelfall« gemacht werden. Im Klartext heißt das: Ausschluß der Alkoholkranken vom Gemeindeabendmahl.

Wie steht es nun aber in Tat und Wahrheit mit dem »Wein« des Stiftungsmahls in der Nacht vor dem Karfreitag? Wie wir schon festgestellt haben, war das letzte Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern gehalten hat, ein Passahmahl. Wir wissen aus verschiedenen Äußerungen, daß der Wein, der bei diesem Mahl getrunken wurde, mit Wasser verdünnt war. Folglich müßte der »Stiftungsgemäßheit« entsprechend auch der Abendmahlswein mit Wasser vermischt werden. Aufschlußreich ist die Aussage von Dr. S.M. Isaacs, Rabbi in New York: »Im Heiligen Land werden gewöhnlich keine gegorenen Weine getrunken. Die besten Weine sind süß und ungegoren. Bei ihren Festen (mit Einschluß der Hochzeitsfeste) werden von den rechtgläubigen Juden niemals gegorene Getränke gebraucht. Bei öffentlichen sowohl als auch bei privaten Dankopfern wird die Frucht des Weinstocks oder der ungegorene, frische Traubensaft oder ungegorener Wein aus Weinbeeren gebraucht, und zwar als Symbol der Danksagung, denn die Gärung ist für uns Juden das Symbol der Verderbnis, wie dieselbe ja in der Tat ein Zersetzungsprozeß ist.«

Es fällt auf, daß in keinem der vier Abendmahlsberichte das Wort »Wein« vorkommt. Bei Matthäus, Markus und Lukas ist in den Einsetzungsworten vom »Gewächs des Weinstocks« (in neueren Übersetzungen von der »Frucht des Weinstocks«) und vom »Kelch« die Rede. Und es ist gewiß nicht von ungefähr, daß das Abendmahl seinen ursprünglichen Namen nicht vom Wein, sondern vom Brot hat. In der Apostelgeschichte wird es mehrmals »das Brotbrechen« genannt. So lag im Frühchristentum das Schwergewicht auf dem Brot und nicht auf dem Wein, wenn überhaupt Wein dargereicht wurde. Wer auf die »Stiftungsgemäßheit« des Abendmahls pocht, müßte, nebenbei gesagt, orientalisches Brot, den Brotfladen, bereithalten. Kirchengeschichtlich gesehen geht es bei Abendmahlsstreitigkeiten nur um den Wein, während das Brot, wenigstens bis heute, weitgehend unangefochten geblieben ist. Martin Luther, der sich im Unterschied zur katholischen Kirche für die Abendmahlsfeier in beiderlei Gestalt (Brot und Wein) eingesetzt hat, nennt sie öfters »Brotsakrament«, als ob kein Wein dazu gehöre. Er ordnet den Wein dem Gebiet der christlichen Freiheit und also der persönlichen Entscheidung zu. »Nimmer bin ich darauf aus, daß man mit Gewalt beiderlei Gestalt an sich reiße, als ob wir durch den Zwang eines Gebots dazu genötig würden.«

Aus einer wissenschaftlichen Abhandlung von Stephan Martig über »Die Frage des alkoholfreien Abendmahlsweines« geht hervor, daß der Kelch in den ersten Christengemeinden mit großer Wahrscheinlichkeit mit unvergorenem Traubensaft, hergestellt aus eingedicktem Traubenhonig, gefüllt wurde. Denn die Christen »waren meist kleine, arme Leute; vergorener Wein aber war das Getränk der Reichen«. Und D. Dr. Julius Boehmer (in »Der Wein im heiligen Abendmahl«) weist nach, daß im Frühchristentum »in weiten Kreisen, nicht bloß bei Gnostikern und Sekten, sondern auch innerhalb der Kirche selbst Wasser für Wein gereicht oder nur Brot ausgeteilt wurde«. Selbst das Augsburger Ritual von 1580 bestimmt, daß den Kommunikanten Wasser gereicht werden könne, wenn sie keinen Wein trinken möchten. In weinarmen Gegenden trat öfters Milch an die Stelle von Wein. In Asien stößt man sich keineswegs daran, daß das Abendmahl häufig mit Reis und Reiswein oder Tee gehalten wird. Es ist auch genügend bekannt, daß in außerordentlichen Lebenslagen, beispielsweise in Konzentrationslagern, im hohen Norden, in der Dritten Welt, das Herrenmahl ohne Einbuße der Gültigkeit mit den »Elementen« gefeiert wurde und wird, die vorhanden sind. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Farbe des Abendmahlsweins kein Anlaß zu Auseinandersetzungen sein kann. Der weiße Wein oder Traubensaft bestärkt den Abendmahlsteilnehmer darin, daß es sich nach reformatorischer Auffassung um ein Zeichen und Sinnbild handelt.

Es gibt also weder von der Bibel noch von der Praxis her zwingende Gründe dafür, daß das Abendmahl »stiftungsgemäß« nur mit vergorenem Wein gefeiert werden kann. Die Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn hängt nicht von den »Elementen« ab. »Es kommt nicht auf den Weingeist an, sondern auf den Heiligen Geist«, hat einer treffend gesagt. Christus ist im Geist gegenwärtig, auch wenn das Abendmahl ein bloßes »Brotbrechen« wäre oder zur Not mit Wasser oder Milch gefeiert werden müßte. Der unvergorene Abendmahlswein ist als »Gewächs des Weinstocks« ein legitimes »Element« des Heiligen Mahls. Mir scheint, die Umstellung von vergorenem Wein auf Traubensaft sei da, wo es noch nicht geschehen ist, mit Rücksicht auf die Gefährdeten ein Gebot der Liebe und darum das Gebot der Stunde. Paulus schreibt: »Wir aber, die wir stark sind, sollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht für uns selber leben« (Röm. 15, 1). Ob das nicht eine »klare Aussage der Heiligen Schrift« ist?

Andere Gefährdete

Wir dürfen nicht vergessen, daß es außer den Alkoholgefährdeten noch weitere Gefährdete gibt. Ich greife zwei Gruppen heraus.

1. Die Epileptiker. Epilepsie ist eine Erkrankung des Nervensystems, die durch eine angeborene Mißbildung des Gehirns oder durch eine spätere Gehirnschädigung entsteht. Die meisten Epileptiker unterscheiden sich äußerlich in keiner Weise von ihren Mitmenschen. Berühmte Männer, die Weltgeschichte machten, waren Epileptiker. Einziges Zeichen ihrer Krankheit sind die Anfälle. Mit Medikamenten können sie in Grenzen gehalten oder ganz ausgeschaltet werden. Aber Epileptiker sollten, was ihnen nicht immer leicht fällt, den Alkohol meiden. Dazu brauchen sie unsere Mithilfe, auch beim Abendmahl. Auch ihnen gegenüber ist das Gebot der Liebe eine Verpflichtung. Brüderliche Rücksichtnahme ist denen, die von dieser latenten Krankheit befallen sind, ein Zeichen der Liebe, der Verbundenheit, der Solidarität.

2. Die Diabetiker. Sie befinden sich in einer schwierigen Lage, denn sie sollten möglichst auf beides verzichten: auf den Alkohol und auf Süßigkeiten. Sind sie dadurch vom Abendmahl nicht ganz ausgeschlossen? Viele Diabetiker müssen peinlich genau darauf achten, was sie ihrem Körper zuführen. Nach Aussage eines Spezialisten für innere Medizin hat der beim Abendmahl genossene Traubensaft keine Auswirkung auf den Zuckerstoffwechsel des Diabetikers, da die Menge viel zu klein ist. Die strikte Einhaltung der angeordneten Diät wird demnach durch den Genuß des alkoholfreien Abendmahls in keiner Weise aus dem Gleichgewicht gebracht. Man darf ängstlichen Diabetikern Mut machen zum Abendmahl!

Die Angefochtenen

Nicht gefährdet, aber angefochten sind beim Abendmahl mit vergorenem Wein die Abstinenten. Ob sie aus persönlicher Überzeugung, aus Familientradition, aus Prinzip oder aus Liebe zu den gefährdeten Brüdern auf jeglichen Alkoholgenuß verzichten, eines bleibt gleich: sie möchten unbeschwert und ohne innere Anfechtung am Gemeinschaftsmahl der Gemeinde teilnehmen können. Auch sie haben Stärkung, Tröstung und Zurüstung durch das hörbare und sichtbare Wort nötig. Als aktive Mitglieder des Blauen Kreuzes oder eines anderen Abstinenzvereins, als Gehilfen einer »Spezialeinheit« zur Bekämpfung des Alkoholismus üben sie in der Kirchgemeinde einen wichtigen Dienst aus. Wie viele sind schon durch sie aus der Sklaverei des Alkohols herausgeführt und durch Christus befreit worden! Müßten die Kirchgemeinden und die freikirchlichen Gemeinschaften nicht auch auf sie Rücksicht nehmen und sie mit dem alkoholfreien Abendmahl ermutigen zu ihrem Dienst?

aus: “Das Mahl der Liebe” von Alfred Kupferschmid, Blaukreuz-Verlag Bern und Wuppertal

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